“Der 10. Juni 2016 hat es ins Fernsehen, ins Nachtmagazin geschafft. An dem Abend wird die Tagesschau desselben Tages nacherzählt als eine Tages-Show, das heißt mit Elementen des Tanzes, der Musik, mit DJs, wird daraus eine ganz opulente und fast barocke, eine überbordende Geschichte. Ein Schuss Doku-Fiction ist auch mit dabei. Das Ganze hat mich ziemlich umgehauen. Es zeigt, wie kreativ diese Regisseure da gearbeitet haben.” (Peter Helling, NDR 90.3 Abendjournal vom 13.6.2016)
“Nach einer Stunde tosender Applaus. Davon kann die echte Tagesschau nur träumen.” (ARD-Tagesschau Nachtmagazin vom 10.6.2016)
“Eine optisch, akustisch und spielerisch aufwändige Produktion, in der sich Musikbühne und Expertentheater zu einer Feier und Dekonstruktion zugleich eines der großen Medienmythen unserer Zeit zusammentun: der Tagesschau. Das sah alles unglaublich gut aus, hörte sich gut an, war intelligent und eine Feier des Glamour und des schlichten Lebens. Was will man mehr?“ (Peter Michalzik, Theater heute 02/2016)
“Ein hochphilosophischer Vorgang, der die Inszenierung von Medienwahrheit und den Glauben an diese verulkt, der die Feier des größten deutschen Fernsehereignisses, das sich ja jeden Tag wiederholt und immer exakt genügend Nachrichten für eine Viertelstunde parat hat, parodiert.” (Egbert Tholl und Christiane Lutz, Süddeutsche Zeitung vom 9.5.2017)
“Der Frankfurter Regisseur Jan Philipp Stange realisierte eine Projekt, dessen Textmaterial die aktuelle Tagesschau liefert. Schneider, ein Landesmeister im Maschinenschreiben, bringt die Meldungen inklusive Sport und Wetter zu Papier, und ein androgynes Nachrichtensprecher-Paar singt die News zu live produziertem und wuchtig wummerndem Clubsound. Eine weitere Ebene sind Fernsehreportagen über den freundlichen Herrn Schneider. So bilden sich auf komplexe Weise Schichten unterschiedlicher Realitäten und auch verschiedener Formen der Wahrnehmung. Das ist großartig gedacht, entschlossen gemacht.” (Matthias Hejny, Münchener Abendzeitung vom 6.5.17)
“Stange macht eine Tagesschau-Show, tagesaktuell, die aussieht wie ein No-Wave-Video aus den 80er Jahren, mit zwei androgynen Arschgeigen, die als Moderatoren fungieren und einem pensionierten Maschinenschnellschreibjugendmeister” (Egbert Tholl und Christiane Lutz, Süddeutsche Zeitung vom 9.5.2017)
“Die Aufführung ist benannt nach dem Datum der jeweiligen Ausgabe (bei der Uraufführung war es der 26. November 2015). Sie beginnt, logisch, um 20 Uhr und setzt sich dann aus mehreren Schichten zusammen. Der Text, der von nun an im Studio in Hamburg verlesen und zugleich überall im Land ausgestrahlt wird, wird mit Zeitverzögerung gesungen - von zwei ausgesprochen androgynen Sängerinnen, Mann und Frau, und doch fast gleich. Sie können diesen Text nur singen, weil ein inzwischen pensionierter, ehemaliger hessischer Jugendmeister im Maschineschnellschreiben die Meldungen mitschreibt und die Sängerinnen sie zeitversetzt ablesen können. Zu dem Maschineschnellschreiber kommt ein Mitarbeiter des Hessischen Rundfunks (HR). Er führt durch das HR-Gelände, erklärt die ARD und ihr Netzwerk, über das die Tagesschau verbreitet wird. Alles findet statt in einer spacigen Pappdeckelbühne, passend zum Techno-Gesang der beiden Androgynen. Was ist das? Unterhaltung, ja, zweifelsohne. Es ist auch intelligent, freundlich, lächelnd, sanft ironisch. Stange will mit dieser Arbeit, genauso wie mit seinen anderen Arbeiten, keine Grundsatzkritik üben. Er will die Tagesschau übertreiben, nicht affirmieren. „Die Tagesschau ist Theater, und darin ist sie erst mal weder wahr noch falsch. Sie vergemeinschaftet uns, und darin spielt sie eine ähnliche Rolle wie antikes Theater. Flankiert von der Börse und dem Wetter, unseren modernen Göttern, erscheint sie als Erzählung menschlichen Strebens und Handelns." So ist diese Aufführung die Feier und zugleich die Dekonstruktion eines abendlichen Rituals und eines medialen Ereignisses.” (Peter Michalzik, “Auf der Suche nach dem Text unserer Zeit”, Radikal Jung Magazin 2017)
“Ihre Apotheose erlebt die Sendung natürlich am Ende mit dem Wetter, hier mit riesiger Discokugel als Sonne und ebenso exaktem wie heftigem Theaternebel als Nebel. Zuvor wurde die aktuelle, also gerade stattfindende Tagesschau fast simultan gesungen, vorgetragen von zwei Spieler*innen, die nicht nur durch Stimmen, sondern durch unglaublich exakte Frisuren faszinierten.“ (Peter Michalzik, Theater heute 02/2016)
Werner Schneider ist hessischer Jugendmeister im Maschineschnellschreiben von 1967. Er lebt im beschaulichen Alsbach-Hähnlein, einem kleinen Dorf an der hessischen Bergstraße als pensionierter Standesbeamter, Leiter des örtlichen Schreibmaschinenvereins und mit einer Schwäche für Richard Wagner. Und er kann etwas, was heute niemand mehr lernt: Er kann gesprochenen Text live mitschreiben. In der Inszenierung der Tagesschau schreibt er nochmals vor Publikum gegen die Zeit an: Er schreibt den Text der Aufführung, indem er live die Nachrichten abtippt, die den Darstellerinnen über Teleprompter angezeigt werden.
Die “Tages-Show” beginnt ebenfalls um 20 Uhr und greift dann zeitgleich zur Sendung die Nachrichten-Texte auf. Durch die Vermischung von Theater, Performance, Tanz, Video und elektronischer Musik entsteht so eine hybride Form von Musiktheater, die sich ästhetisch an der Frage nach der Beziehung zwischen Gemeinschaft und Identität orientiert. Denn zu dem Ritual der Tagesschau kommt fast die ganze Nation zusammen. Die Tagesschau vergemeinschaftet tagtäglich knapp 10 Millionen Fans vor den Fernsehgeräten, informiert sie über die Ferne und vermittelt ihnen doch ein Gefühl der Heimat. Dabei übernimmt sie die antike Rolle des Theaters als Versammlungsort. Flankiert von der Börse und dem Wetter, den modernen Göttern, erscheint sie als Erzählung menschlichen Strebens und Handelns. Der Inhalt ist bei jeder Aufführung einzigartig. Dazu werden Filmaufnahmen gezeigt, die die Produktion der Tagesschau nachzeichnen und mit Bildern aus Werner Schneiders Leben in der hessischen Idylle kurzschließen, der — so stellt sich heraus — in seinem Leben bereits schon einmal die Wege der öffentlich-rechtlichen Medien gekreuzt hat …
So verschränkt sich in der Inszenierung die Erzählung über das Leben eines gewöhnlichen Menschen mit dem aktuellen Weltgeschehen und der bundesdeutschen Fernsehgeschichte. Am Ende wird mit der Wettervorhersage mit Sonne, Wind, Nebel, Laub und Regen ein riesiges Wetterereignis im Theaterraum aufgeführt, das Wagner und Deutschlandkarte zusammenführt.
Uraufführungen am 26. und 28. November 2015 in der Naxoshalle Frankfurt. Weitere Aufführungen am 1. und 2. April 2016 im Rahmenprogramm des Lichter-Festivals International, am 10. Juni 2016 beim Körber-Studio “Junge Regie” im Thalia Theater in Hamburg (Shortlist) und am 2. Mai 2017 beim Festival „Radikal Jung“ am Volkstheater in München
Konzept und Regie: Jan Philipp Stange, Musik: Charlotte Simon, Benjamin Bascom, Jonathan Penca, Dramaturgie: Heiko Stubenrauch, Video: Jakob Engel, Bühne: Josephine Hans, Nils Wildegans, Produktion: Julia Straßer, Performance: Daniel Degeest, Transkription: Werner Schneider, Tanz: Gal Fefferman, Orla McCarthy, Narae Shin, Astrid Smits | Fotos von Irina Ximena Perez Berrio u.a.
Eine Produktion von Jan Philipp Stange, mit freundlicher Unterstützung von studioNAXOS und der Hessischen Theaterakademie.