"Einfach liegen bleiben und die Füße hoch, ab und an ein Schlückchen Tee, unter die Dusche und zehn Minuten Sauna und dann wieder von vorn. Und uns von allem anderen verabschieden. Dabei hatte Judith Altmeyer ihr Publikum doch vorgewarnt. Dass es zwar herzlich eingeladen sei, es sich in dieser seltsamen, eine einzige Wellnessoase vorstellenden Bühnenlandschaft (Jakob Engel) gutgehen zu lassen. Doch dass es vielleicht nichts werden würde mit der großen Show. „Wie wäre es, wenn wir uns von der Illusion verabschieden, dass das heute ein besonderer Abend wäre? Und dass das okay wäre? Eine mittelmäßige Show für ein mittelmäßiges Publikum?
Nun, das wäre es gewesen. Und man hätte sich ganz einfach arrangiert. Lauschte dem Gezwitscher und Geklimper, das Jacob Bussmann in den Raum schickt, und wartete darauf, dass irgendwann der Mond aufgeht. Allein, man wollte es nun mal nicht glauben. Und schaute Lukas Deuschel unterdessen beim Schwitzen und Saunieren zu. „Good Night“, das nun unter der Regie von Jan Philipp Stange im Frankfurter Studio Naxos zu sehen war, ist ein seltsames Stück Theater. Eine Performance, die sich und die eigenen Bedingungen – Realität und Fiktion, Bühne, Schauspieler und Publikum – zwar unentwegt mit seinem Monolog für eine Performerin befragt. Nur kommt es nie zum Punkt. Stattdessen erhebt sich Altmeyer alle zehn Minuten von ihrer Liege unter Palmen, weckt und enttäuscht Erwartungen, eröffnet und beschließt ihre Performance und legt sich lieber noch ein paar Minuten hin. „Das Theater ist ein kleiner Hund, der über die Straße läuft und an einem Laternenpfahl sein Geschäft verrichten möchte“, heißt es einmal. Und in der Tat, mag man da denken, da ist ganz offensichtlich etwas dran. Kokettiert doch dieses kurze Stück zum langen Abgang mit dem Versprechen einer jeden Inszenierung ebenso wie mit seinen offen ausgestellten Unzulänglichkeiten. Mit Verführung, Relevanz und Dringlichkeit des zeitgenössischen Theaters, den Erwartungen der Zuschauer und immer wieder auch den Ängsten der Performer. (...) Dann geht groß und rund und schön der Mond am Bühnenhimmel auf. Ein letzter Aufguss noch und eine letzte Dusche. Und alles ist okay."
(FAZ vom 9.11.2019)
Interview von Jeanne Eschert mit einer Zuschauerin vom November 2021:
Jeanne: Kannst du zu Beginn beschreiben, was du erlebt hast?
E: Ich habe einen sehr berührenden Theaterabend erlebt. Ich habe eine Art Theatertherapie erlebt. Einen Abend, der mich sehr zum Nachdenken angeregt hat. Darüber was Theater ist, was es ausmacht, mit welchen Erwartungen man dort reingeht. Und ich habe viel darüber nachgedacht, was es bedeutet, sich zu verabschieden. Wann Dinge anfangen, wann sie zu Ende sind und wie wir damit umgehen.
J: Und wenn du es in ein Gefühl oder eine Reaktion zusammenfassen müsstest, was würdest du sagen?
E: Herz-öffnend. Ich finde kein richtiges Wort dafür. Vielleicht „herzlich“, oder „angenommen werden“.
J: Und was bedeutet das: „angenommen werden"?
E: Es fing relativ schnell an, dass ich mich wohl gefühlt habe. Ich habe gemerkt: Ich werde angenommen von diesem Theaterabend, als der, der ich bin. Und je länger es ging, umso mehr hat sich das verstärkt, dass ich dachte, dass dieser Raum, in dem ich dort bin, sozusagen ein safe space ist auf irgendeine Weise, weil: es ist alles in Ordnung. Also wer man ist und was man tut. Zum Beispiel die Frau, die irgendwann auf Toilette gegangen ist, da habe ich gedacht: Das stört mich überhaupt nicht, es ist total in Ordnung so.
J: Und wieso kam dieses Gefühl schon direkt zu Beginn?
E: Ich glaube durch die Länge, in der nichts passiert. Und die Musik und diese Atmosphäre, die der Raum schafft. Weil es eine extreme Ruhe irgendwie hat. Ich stehe auch ein bisschen auf dieses Meditationszeug. Die Wohlfühlatmosphäre, die es in kleinen Saunas und Spas gibt, ist dort für mich total entstanden. Vielleicht, weil so lange nichts passiert ist. Man hatte Zeit, Dinge im Bühnenbild zu entdecken.
J: Haben die Texte dafür eine Rolle gespielt?
E: Ich glaube nicht für das Sinnliche, aber für den Kopf dann schon. Bei allem, was nicht-textlich passiert ist, bin ich seelisch oder sinnlich angekommen und habe mich da wohl gefühlt und durch die Texte, in denen es viel um die Erwartungen des Publikums und die Erwartungen der Performerin ging, konnte ich meine Erwartungen auch gut im Kopf ablegen. Irgendwie war es eine andere Art von Theaterverständnis oder wie man Theater guckt. Nicht auf diese Weise: die liefern etwas und ich mache damit was. Sondern es wurde mehr wie ein gemeinsames Ding und man guckt mal, was passieren wird.
J: Und hat sich im Verlauf des Stücks etwas geändert?
E: Für mich gab es schon eine Entwicklung. Ich habe zwei Monologe gebraucht, um zu verstehen, dass nicht mehr passiert als das. Und dann waren da für mich viele Denkanstöße. Aber zum Ende raus hat es sich nochmal anders aufgelöst. Mit der Querflöte, da weiß ich jetzt auch nicht, was ich damit anfangen soll. Da wurde es glaube ich nochmal verästelter. Am Anfang war es erstmal: ankommen und schauen. In der Mitte bin ich sehr gut mitgekommen und gegen Ende hat es mich auf eine gute Weise überfordert. Wo ich nicht genau weiß, wie ich das einordnen soll und ich noch jetzt darüber nachdenken kann.
J: Aus welchen Gründen ist diese Überforderung entstanden?
E: Ich glaube hauptsächlich durch die Querflöte. Das war ein Element, das nicht, wie die anderen Dinge, eingeführt wurde. Plötzlich ist in der Welt des Stücks ein Requisit aufgetaucht, das da gar nicht reinpasst. Und plötzlich war die Musik nicht mehr im Hintergrund, sondern im Vordergrund. Ich habe das Gefühl, es hat irgendwas zu bedeuten. Ein Stück, in dem die ganze Zeit gesagt wird, es ist gleich vorbei, das kann man auch nicht richtig beenden. Ich kann mir vorstellen, dass man dann irgendwie auf den Gedanken kommt, dass man den Abend ja beenden muss und dann muss das Ende überhöht werden, damit es klar ist. Aber was das genau sein soll, weiß ich nicht.
J: Hat die Querflöte eine andere Reaktion als das Angenommen-werden bei dir ausgelöst?
E: Verwirrung glaube ich.
J: Die Verwirrung fühlt sich dann nicht mehr sicher an?
E: Ja, ich glaube ich habe dann verstanden, dass die Inszenierung mir einen Schritt voraus ist. Das hatte ich vorher nicht. Also das ist gar nicht negativ. Ich fand das eine gute Facette und Farbe. Da ist eben etwas, wo ich nicht mitgenommen werde, aber ich glaube auch absichtlich.
J: Was macht es mit dir, wenn du in solch einem Rahmen wie dem Theaterstück dich angenommen fühlst?
E: Ich glaube, dass es eine wichtige Erkenntnis für mich ist, dass die Dinge auch nicht immer so schlimm oder so heilig sind. Ich studiere Regie und da ist es voll oft so, dass Theater so heilig ist. Als würde ein schlechtes Theaterstück den Zuschauenden körperliche Schmerzen zufügen. Und dann wird ein fieser Hass ausgepackt. Das fand ich so angenehm, dass das Stück vermittelt hat: Es ist halt nicht alles gut und kann es auch gar nicht sein und das ist auch gut so, dass nicht alle Stücke richtig geil sind.
J: Für mich wirkte das Bühnenbild sehr heilig, war das für dich auch so? Oder inwiefern hat das Bühnenbild Einfluss auf deine Reaktion gehabt? Wie haben für dich diese Effekte, zum Beispiel dass der Scheinwerfer fällt, gewirkt?
E: Für mich gab es zwei sehr klare Ebenen. Zum einen diese behauptete Theaterillusion und die andere, die gebrochene Illusion. Der Raum, mit alldem was er kann, hat Wert darauf gelegt, dass er naturalistisch wirkt. Und das hat auf mich so gewirkt, dass eine Welt entstanden ist. Mit dem Gedanken, dass das echt sein könnte. Ich könnte mir das filmisch vorstellen, dass dort ein Geist rumläuft, der das auf irgendeine Weise dekonstruiert.
J: Fällt dir etwas dazu ein, wie diese Ebenen dich angenommen haben?
E: Ich glaube das hat mich angenommen, weil der Raum auf eine Weise so einfach ist. Es ist keine abstrakte Bühne, bei der die einzelnen Elemente etwas bedeuten können oder zeichenhaft für etwas anderes stehen oder die Bedeutung ändern können. Ein bisschen hat mir die Bühne einen Denkbalast abgenommen. Es ist eine Saunalandschaft und mehr halt nicht. Und das ist irgendwie eine erleichternde Erfahrung für mich gewesen. Die Bühne will nicht mehr, als das zu sein, was sie ist.
J: Hast du etwas erwartet, als du gekommen bist?
E: Ich habe den Abend schon vor zwei Jahren gesehen. Deswegen wusste ich schon, was auf mich zukommt.
J: Würdest du einen Unterschied beschreiben zwischen damals und jetzt?
E: Vom Erleben her auf jeden Fall. Ich war vor zwei Jahren richtig geflasht und fand es richtig, richtig toll. Das war jetzt nicht mehr so. Es war immer noch toll für mich, aber es war jetzt nüchterner, weil ich wusste, was mich erwartet. Damals habe ich davor nichts darüber gelesen und ich habe auf jeden Fall nicht das erwartet. Wo es so viel um Theater als Form geht. Und das aber auf eine un-nervige Weise.
J: Ist das was du gesehen hast, etwas dass du im Theater erleben möchtest?
E: Hin und wieder, aber nicht dauernd. Ich habe heute gedacht, dass ich Leuten, die nichts mit Theater anfangen können, das voll gerne zeigen würde. Das erzählt so viel über Theater. Was Theater alles kann, auch gegenüber Film.
J: Könntest du dir vorstellen, dass viele das Gefühl des Angenommen-werdens bei diesem Stück haben könnten, oder ist das eine singuläre Erfahrung?
E: Bei mir ist es sehr stark, aber ich würde sagen: in der Tendenz schon. Aber es könnte auch sein, dass manche Leute eher einen netten Abend hatten. Ich würde behaupten, dass viele dieser Abend nicht kalt lässt. Ich würde behaupten, dass er sehr viele Leute verzaubert.